aus der Einleitung der Herausgeber/innen Ruprecht Mattig, Ingrid Miethe und Ulrike Mietzner: "Die Erziehungswissenschaft ist von Anfang an durch eine große Breite biographischer Ansätze gekennzeichnet, da in dieser Disziplin sozialwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Ansätze gleichermaßen Berücksichtigung fanden bzw. auch gezielt an der Verbindung dieser Traditionen gearbeitet wird. Zentral für die erziehungswissenschaftliche Biographieforschung ist die Feststellung, dass es sich bei Lebensgeschichten immer auch um Lerngeschichten handelt. Im Zentrum einer erziehungswissenschaftlichen Biographieforschung steht dementsprechend das Bemühen, Lebensgeschichten unter dem Fokus von Lern- und Bildungsgeschichten zu rekonstruieren. (...) An dieser Stelle setzte eine vom 13. bis 15. Oktober 2016 an der TU Dortmund durchgeführte Tagung ein, die gemeinsam von der Kommission „Qualitative Bildungs- und Biografieforschung“ in der Sektion „Allgemeine Erziehungswissenschaft“ und der Sektion „Historische Bildungsforschung“ der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) durchgeführt wurde. In diesem Heft sind ausgewählte Beiträge dieser Tagung vereint, die die Vielfalt der Forschungen und der inzwischen entwickelten methodischen Ansätze aufzeigen. Die Beiträge zeigen dabei zum einen, dass der Gegenstand der Forschung – Biographie bzw. Bildung – nicht so klar ist, wie auf einen ersten Blick angenommen werden könnte. Der Begriff der Biographie wird aus unterschiedlichen Perspektiven je besonders gefasst, es finden sich Begriffsbestimmungen, die die Einzelbiographie betonen und „Biographie“ dabei von „Lebenslauf“ abgrenzen, es finden sich aber auch Begriffsbestimmungen, die „Biographie“ im Sinne einer Kollektivbiographie als einen kollektiven und/oder generationalen Prozess verstehen. Auch der Begriff der Bildung ist alles andere als eindeutig. Das beginnt schon damit, dass das Wort „Bildungsforschung“ heute meist mit quantifizieren-den Leistungstests assoziiert wird. Wenn es um den Zusammenhang von Biographie und Bildung geht, spielt die Messung von Leistungen allerdings keine Rolle, „Bildung“ wird in diesem Kontext anders gefasst. Genau zu sagen, was „Bildung“ in diesem Kontext eigentlich meint, ist aber auch schwierig, denn in diesem Zusammenhang findet sich ein breites Bedeutungsspektrum, das von institutions- bis hin zu subjekttheoretischen Verständnissen reicht. So gibt es Forschungen, die beispielsweise nach der biographischen Relevanz der Universität als einer Institution der „Bildung“ in einer bestimmten historischen Lage fragen, und solche, die „Bildung“ im Sinne der Transformation von Welt- und Selbstverhältnissen über die Lebensspanne hinweg in den Blick nehmen. In diesem Band wird keinem dieser Verständnisse von Bildung der Vorzug gegeben, vielmehr soll der Breite der begrifflichen und theoretischen Ansätze Rechnung getragen werden. Die Beiträge zeigen zum anderen, dass sich auch hinsichtlich der Methoden ein breites Spektrum in der Forschungslandschaft findet. Jenseits des klassisch in der Biographieforschung zum Einsatz kommenden narrativen Interviews wird auf eine Fülle unterschiedlicher Ego-Dokumente zurückgegriffen, genauso wie auf autobiographisches Material oder die Analyse von literarischen Biographien. Ein Ziel des Bandes ist es deshalb, zur methodologischen Reflexion über Möglichkeiten der Erforschung von Biographien beizutragen."
Ruprecht Mattig, Ingrid Miethe und Ulrike MietznerBiographie und Geschichte in der Bildungsforschung. Einleitung
Susanne SpiekerJohn Lockes gentry education im Hinblick auf sein Engagement für die Kolonisierung Nordamerikas
Miriam MathiasZwischen einem gescheiterten und einem vollendeten Lebensentwurf Über die biographische (Re-)Konstruktion des Lebens der Fürstin Louise von Anhalt-Dessau
Carola GroppeDie preußischen Reformer Konzept und Fragestellungen einer kollektivbiographischen Analyse
Andreas Hoffmann-Ocon und Norbert Grube„Lehrer auf Abwegen“. Bildungshistorische Annäherungen an ‚gebrochene‘ und ‚eigensinnige‘ Berufsbiographien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Bettina Dausien und Gerhard Kluchert„Mein Bildungsgang“ – Biographische Muster der Selbstkonstruktion im historischen Vergleich. Beispiele und Argumente für eine historisch-empirische Forschungsperspektive
Elke Kleinau und Rafaela Schmid„Ich bin nicht ehemaliges Besatzungskind, sondern ich bin es immer noch“ Brüche und Inkonsistenzen in Erzählungen von ‚professionellen‘ ZeitzeugInnen
Ulrich LeitnerEgo-Dokumente als Quellen historischer Bildungsforschung Zur Rekonstruktion von Bildungsbiographien ehemaliger weiblicher Heimkinder der Fürsorgeregion Tirol und Vorarlberg
Hans-Rüdiger MüllerZur historischen Rekonstruktion von Erziehungspraktiken in Elternbiographien
Dorle KlikaAutobiographien als Kinder ihrer Zeit
Morvarid DehnaviZur Verbindung von Biographie- und Kontextanalyse in der zeithistorischen Bildungsforschung
Ingrid MietheBiographieforschung und Ego-Dokumente Ein Analysevorschlag zur Fallrekonstruktion